Sie sind Brüder, beste Freunde, Gefährten und haben sich ihr ganzes Leben nie aus den Augen verloren. Günter und Karlheinz Haber (95) sind die ältesten Zwillinge in der Wohnungsgenossenschaft Hamburg-Wandsbek von 1897 eG. Geboren wurden sie am 8. April 1930 Auf dem Königslande 1 (heute: Auf dem Königslande 71). Sie erblickten während einer Hausgeburt das Licht der Welt, Günter hat wenige Minuten Vorsprung.
Beide sitzen bereits vergnügt auf ihren Rollatoren vorm Eingang der WHW 1897 in der Behnkenkammer. Natürlich überpünktlich, mit dem Smartphone in der Hand. Heute wollen sie von ihrem bewegten Leben erzählen. Günter und Karlheinz Haber sehen sich auch mit 95 Jahren noch erstaunlich ähnlich. Das Haar schütter, beide tragen Brille, beige Windjacken und ein weißes Hemd. Der Schalk blitzt aus ihren wachen Augen. "Den Humor haben wir nie verloren", sagt Günter Haber und lächelt. "Wir haben den Krieg, den Wiederaufbau Hamburgs, die Währungsunion und so vieles mehr erlebt. Das Wichtigste ist doch, dass man nie verzagt und fröhlich bleibt", sagt auch Bruder Karlheinz. Beide blicken heute auf ein reiches Leben zurück mit jeweils zwei erwachsenen Kindern, mehreren Enkeln und Urenkeln.
"Früher fuhr hier auf der Walddörferstraße noch eine Straßenbahn", erinnert sich Günter. "Alles lief ruhiger und gemächlicher ab. Wir hatten eine wunderbare Kindheit, spielten im Hof, während die Wäsche im Wind trocknete." Der Bäcker brachte die Brötchen im Pferdewagen. Es gab einen Gemischtwarenladen, einen Schuster, ein Gemüsegeschäft und den Friseur "Weber's Herrensalon" (der bis heute existiert). Vater Carl Friedrich arbeitet als Briefträger, Mutter Elisabeth kümmert sich um den Haushalt. Und Schwester Hilde, drei Jahre älter, hat ihre eigenen Freundinnen.
Die ersten neun Lebensjahre sind für die Jungs eine gute Zeit. Sie besuchen die Grundschule in der Feldstraße (heute Königsländer Schule) und engagieren sich bei der sozialistischen Jugendgruppe "Die Falken". Dann bricht am 1.9. 1939 der Krieg aus und mit der "heilen Welt" ist es erstmal vorbei. "Nachts gingen die Sirenen los. Dann weckte uns unsere Mutter und wir gingen in den Keller. Manchmal mussten wir auch in den Bunker." Eisenträger werden in die Keller eingebaut - zum Schutz vor den Bomben. Die Zeiten ändern sich. Straßen werden umbenannt. So heißt der heutige Friedrich-Ebert-Damm auf einmal Adolf-Hitler-Damm. Haben die Zwei damals denn eigentlich was von der Judenverfolgung mitbekommen? Beide zögern. "Es gab da ja ein Lager im Eichtalpark. Wir durften aber keinen Kontakt aufnehmen." Trotz allem lassen sich die Brüder ihre Lebensfreude nicht nehmen. In der Lesserstraße besitzt die Familie eines Freundes einen Schrebergarten. Dort treffen sich die Jungen, bauen Höhlen, spielen, lassen die Kriegsschrecken hinterm Gartenzaun zurück.
Doch dann passiert ein Unglück. Günter verliert 1943 mit 13 Jahren fünf Zähne. "Wir spielten mit einer Waffe, die dort herumlag. Mein Freund zielte auf mich und drückte ab. Ich hatte Glück im Unglück. Die Kugel blieb in der Schleimhaut im Rachen stecken. Ich spuckte sie aus," sagt er. Hartgesottener Kerl… Im heutigen Bundeswehrkrankenhaus, damals das Wehrmachtslazarett, wimmelt man den verletzten Jungen ab. Dort dürfen zu der Zeit nur verletzte Soldaten behandelt werden, keine Zivilisten. "Wir haben dann ein Taxi angehalten und sind im Lohmühlenkrankenhaus (heute Asklepios Klinik St. Georg) gelandet." Hart im Nehmen - das sind die Brüder immer gewesen. "Klar waren unsere Eltern erschüttert. Die Mutter des Schützen schenkte mir zur Entschuldigung ein Oberhemd", sagt Günter und lacht.
Aber es sollte schlimmer kommen. Der Feuersturm in Hamburg, auch bekannt als "Operation Gomorrha", im Juli 1943 steht kurz bevor. "Irgendwie ahnten unsere Eltern, dass was Furchtbares passieren wird", erzählt Günter. Die Jungen verlassen mit der Mutter noch gerade rechtzeitig Hamburg und besuchen Verwandte in Lübeck. "Als wir zurückkehrten, lag alles in Schutt und Asche. Wir erkannten nichts wieder. Das war traumatisch. Aber wie durch ein Wunder blieb unsere Wohnung verschont", erzählen sie. 1944 beenden die Brüder ihre Schulzeit und beginnen eine Lehre zum technischen Fernmelder beim Fernmeldeamt Harburg. In ihrer Freizeit spielen sie in einem Mandolinen-Orchester.
Ihre späteren Ehefrauen lernen sie mit Anfang 20 beim Volkstanz kennen. Erst trifft Karlheinz seine Ursula, wenig später verliebt sich Günter in die Hutmacherin Inge. Karlheinz und Ursula heiraten am 16. April 1955 in Farmsen. Am 14. April 1956 folgt Günters Hochzeit im Genossenschaftsheim der WHW 1897 in der Gladowstraße 20. "Das war ein wildes und langes Fest", schwärmt er. Beide Paare finden Wohnungen in der Genossenschaft, beide im Biehlweg. "Früher hieß die Genossenschaft übrigens Bau- und Sparverein", sagt Günther. "Unsere Eltern bekamen damals nur eine Wohnung, weil sie Mitglied in der SPD waren."
Die Kinder kommen zur Welt. Am Wochenende treffen sich die Familien in ihren Schrebergärten oder unternehmen lange Radtouren. Günter wird Vater von Bärbel und Karsten. Karlheinz Kinder heißen Klaus und Heike. "Es waren schöne Jahre. Mit dem Fahrrad fuhren wir abends in unsere Schrebergärten nach Farmsen. Die Kinder hatten dort ihre Schaukel und einen Sandkasten." Die Ferien werden in der Lübecker Bucht verbracht. Dort besitzt die Post Ferienhäuser für ihre Angestellten. Fahrradtouren nach Cuxhaven, nach Passau oder eine Reise nach Helgoland stehen auf dem Programm - den Habers wird nie langweilig. "Wir haben viel erlebt", sagt Günter heute lächelnd. Und was war ihr schönstes Erlebnis in ihrem langen Leben? "Unsere Reise nach Amerika", sagen sie einstimmig. Drei Wochen fuhren sie 1982 mit Freunden durch die USA, besuchten die Niagarafälle und Freunde im Bundesstaat Michigan.
"Das Leben war ein Husch", sagen sie. Inzwischen sind die Zwillinge seit 1993 Rentner, beide haben 47 Jahre bei der Post gearbeitet. "Es war nie langweilig und wir haben immer alles positiv gesehen." Ihre Lebensphilosophie? "Nie die Hoffnung verlieren, positiv denken, dankbar sein für das, was man hat." Der Wohnungsgenossenschaft Hamburg-Wandsbek von 1897 eG sind sie ihr Leben lang treu geblieben. Damit sind sie nicht nur die ältesten Zwillinge, sondern auch die längsten Bewohner. "Die WHW 1897 ist unsere Heimat unser Zuhause", sagen beide. "Wir mögen die Gemeinschaft und die Herzlichkeit."
Einen Wunsch haben sie noch: "Wir wollen 100 Jahre alt werden und dann ein großes Fest feiern."
Das Interview führte Erika Krüger, Mieterin der WHW 1897.